Wann kann eine Behandlungsempfehlung abgegeben werden?

Wissenschaftliche Untersuchungen, Literaturrecherche und Aussagekraft der Ergebnisse sind von der Qualität der Studie abhängig.

Wann kann eine Behandlungsempfehlung abgegeben werden?

Wenn für die Fragestellung ausreichend wissenschaftliche Belege vorliegen, dann ist eine Empfehlung für die jewelige Behandlung oder der Verzicht auf eine Behandlung ableitbar. Die “Evidence Based Medizin” fordert als Rechtfertigung für Behandlungen deren nachgewiesene Wirksamkeit. Das hört sich einfach an, ist jedoch eine sehr hohe Anforderung an die Untersuchung.

Nach wissenschaftlichen Kriterien liegt ein Nachweis der Wirksamkeit einer Behandlung nur vor, wenn der Beleg aus multiplen, randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien erbracht wird. Wenige wissenschaftliche Veröffentlichungen in der Tiermedizin erfüllen diese Standards.

Mit “multiplen” Belegen durch Studien wird die Allgemeingültigkeit einer Aussage durch mehrere Belege bewiesen. Ein Sachverhalt ist nur dann allgemeingültig, wenn er sich gesetzmäßig wiederhohlen lässt. Daher müssen für eine Fragestellung mehrere “multiple” Untersuchungen mit übereinstimmenden Ergebnis vorliegen, damit der Beweis erbracht ist.

“Randomisierte, placebokontrollierte Doppelblindstudien” sind experimentelle und vorausgeplante Untersuchungen. Es gibt nur eine Fragestellung: Ist Behandlung A erfolgreicher als Behandlung B? Die Behandlung ist placebokontrolliert, d.h. bei einer Vergleichsgruppe wird so getan, als würde eine Behandlung durchgeführt aber eine Behandlung erfolgt nicht (oder es ist kein Wirkstoff enthalten). Es kommt vor, dass die Ergebnisse für A zwar besser sind als für B, aber A die selben Erfolge wie die Placebogruppe aufweist. Ohne die Placebogruppe könnte nicht geschlussfolgert werden, dass B tatsächlich schädlich ist oder A keine Wirkung außer dem Placeboeffekt aufweist.

Die Patienten (Patientenbesitzer) wissen nicht zu welcher Gruppe sie gehören. Die Ärzte, die den Behandlungserfolg nach vorgegebenen Kriterien beurteilen, wissen nicht zu welcher Gruppe die Patienten gehören. Es ist schwierig und teuer Teilnehmer für solche Untersuchungen zu finden. Es geht immerhin um die Lebensqualität Ihres Haustieres oder gar mehr.

Darüber hinaus müssen die einzelnen Versuchsteilnehmer vergleichbar sein, denn beispielsweise die Konstitution und Kondition beeinflussen stark das Untersuchungsergebnis.

Daher gibt es unterschiedliche Klassifikationssysteme zur Beurteilung der Qualität von wissenschaftlichen Untersuchungen. Mit absteigender Klassifikation wird es zunehmend unwahrscheinlicher, dass ein Untersuchungsergebnis representativ als auch wiederholbar ist.

Beispielsweise haben Budsberg und Aragon [1] folgende Klassifizierung der veterinärmedizinischen Veröffentlichungen verwendet:

I       Der Beleg wird aus multiplen, randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudien abgeleitet.

II          Der Beleg wird aus klinischen Studien hoher Qualität mit rückblickenden Kontrollen abgeleitet. Die zuvor angelegten Kriterien limitieren die Studie und einziges Ziel ist die ausschließliche Beantwortung der Frage.

III      Der Beleg wird aus klinischen Tests unkontrollierter Fallserien abgeleitet. Es handelt sich z.B. um prospektive Vergleiche, die aber nicht wirklich randomisiert sind, es handelt sich um begrenzt subjektive Messungen wie Gangbildanalysen aufgrund klinischer Eindrücke.

IV    Der Beleg wird aus einer Expertenmeinung abgeleitet, rückblickend werden Patientendaten durchforscht oder aus physiologischen Studien abgeleitet.

Sie wollten beantworten, welches die beste Behandlungsempfehlung bei Verdacht auf einen totalen oder partiellen Kreuzbandriss ist.

Über 240 Veröffentlichungen zum Thema wurden ausgewertet, von denen keine der Kriterien von Klasse I und II genügte, lediglich fünf wurden Klasse III und 23 IV zugeordnet. Die Autoren kommen zu dem Schluss: Nach dem Vorbild der „Evidence Based Medicin“ lagen keine ausreichenden Beleg vor, um eine Operationstechnik zu favorisieren.

Das heißt jedoch nicht, dass keine Aussage zu dem Thema getroffen werden kann. Der wissenschaftlich orientierte Tierarzt prüft eine Behandlungsempfehlung anhand der Qualität der hierzu vorliegenden wissenschaftlichen Berichte. Zur Bewertung der Veröffentlichungen ist es wichtig diese zu klassifizieren und entsprechend zu wichten. Er vergleicht seine Auswertung der Literaturrecherche mit den aktuellen deutschen und internationalen Expertenmeinungen. Er überpüft die Deckung der Ergebnisse mit bekannten Tatsachen und Kentnissen aus Anatomie, Physiologie etc. Die Erfahrungen der Tierärzte fließen in die Beurteilung mit ein. Das Ziel ist der Wahrheit so nahe als möglich zu kommen. Das Ergebnis der Auswertung fußt auf wissenschaftlichen Untersuchungen und ist objektiviert.


[1] Aragon CL & Budsberg SC (2005) Applications of evidence-based medicine: cranial cruciate ligament injury repair in the dog. Vet Surg, 34, 93-98.